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Der Milliardenraub. Strafverteidigung in Cum-Ex-Verfahren

Gesetze werden geändert. Neue Gerichtsgebäude werden gebaut. Die Justiz stockt ihr Personal auf. Eine Anklagewelle steht in Cum-Ex-Verfahren bevor. Für 1100 Beschuldigte in über 100 Ermittlungsverfahren könnte es nun ernst werden. Wirklich? Hatte bei Cum-Ex wirklich die Steuer-Mafia ihre Hände im Spiel? Wie verteidigt man Milliardenräuber?




Wenn Gerichtsgebäude neu errichtet werden, um eine anstehende Anklagewelle bewältigen zu können, wird es ernst. Von einem Sturm im Wasserglas kann keine Rede sein. Die Justiz ist sich sicher. Die Verfahren zur Aufarbeitung des Cum-Ex-Steuerskandals sind politisch erwünscht. Es gehört zum Job der Strafverteidiger, die Finger frühzeitig in die Wunde zu legen und Rechtmäßigkeit der Beweiserhebungen zu überwachen. Und dann Zweifel zu streuen, Sand ins Getriebe der Ermittler. Für die Unschuldsvermutung und den Rechtsstaat zu streiten. Und sie tun dies auch in Cum-Ex-Verfahren.


In einem „Rundumschlag“ haben Staatsanwälte Ermittlungsverfahren gegen eine Vielzahl von Personen eingeleitet, die auch nur im Entferntesten mit Cum-Ex-Verfahren zu tun gehabt haben könnten. Das hatte natürlich erst einmal den Zweck, durch Bekanntgabe von Ermittlungen an die jeweiligen Beschuldigten die Verjährung zu unterbrechen. Nicht wenige Mitarbeiter von Banken und Finanzinstituten, aber auch Berater wie Anwälte und Steuerberater haben Post von der Staatsanwaltschaft erhalten.


Strafverteidiger sorgen erst einmal dafür, dass der Mandant keine vorschnelle Aussage macht. Schweigen ist das Gebot der Stunde. Schweigen ist nicht Eingestehen von Schuld, sondern ganz im Gegenteil die Wahrnehmung eines strafprozessualen Grundrechts. Aus dem Schweigen eines Angeklagten kann man strafprozessual keine Schlüsse ziehen, aus seinem Reden aber schon.


In den Cum-Ex-Verfahren geht es für Beschuldigte nicht um Geld, sondern um die Frage: Freiheit oder Haft.

Beantragt der Strafverteidiger dann Akteneinsicht, erhält er von der Staatsanwaltschaft nicht selten Datenträger mit einem Umfang von mehr als 100.000 Aktenseiten - pro Fall wohlgemerkt. Bei näherer Prüfung ergibt sich, dass die Vorwürfe alles andere als konkret sind. Die Beweislage ist anfangs größtenteils dünn. Aus den Akten ergibt sich wenig Konkretes. Es finden sich zahllose Ordner aus anderen Ermittlungsverfahren, allen voran aus dem Verfahren gegen Hanno Berger. Offenbar sollen diese Dokumente das "kriminelle System" der "Finanzmafia" beweisen. Da werden Verfahren gemixt, abgetrennt, neue Verfahren eröffnet. Übersichten erstellt, Daten ausgewertet, Banken und Finanzämter durchsucht, sogar Anwaltskanzleien erhalten Besuch vom Staatsanwalt. Server werden beschlagnahmt. Die Ermittler wollen alles wissen. Und sind auf der Suche nach so genannten "Zufallsfunden". Nach den Hintermännern einer "gierigen Finanzmafia". Nach dem Urknall des Systems, das als Milliardenraub bezeichnet wird. Ein Kollege aus Frankfurt am Main, Rechtsanwalt Dr. Groß äußerte sich dazu jüngst im FAZ-Podcast wie folgt:


"Man hat viele, viele Jahre mit steuerrechtlichen Argumenten immer wieder Boden in Strafverfahren gewonnen. Cum-Ex steht für eine Änderung. Man sagt jetzt: "Mit feinen Argumenten könnt ihr uns den Buckel runter rutschen. Wir gehen jetzt nach dem gesunden Menschenverstand. Und danach kann das alles gar nicht sein."

Die Mühlen der Justiz mahlen langsam. Aber sie mahlen. Und Rückenwind haben die Ermittlungen nach der Hinwendung zum gesunden Menschenverstand alle mal erhalten. Federführend sind laut einer detaillierten Aufstellung des Handelsblatts in der oben genannten Ausgabe die Staatsanwaltschaft Köln (Macquaire, Clearstream/DeutscheBörse, BNP Paribas, Santander, WestLB/Portigon, Morgan Stanley, SEB, Deutsche Bank, HSH Nordbank, Barclay’s), die Staatsanwaltschaft München (HypoVereinsbank), die Staatsanwaltschaft Stuttgart (LBBW) sowie die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt/M (HeLaBa, Commerzbank/Dresdner Bank, DZBank, ABNAmro/Fortis). In Frankfurt läuft z.B. bereits ein Strafverfahren, in dem fünf Banker der MapleBank sowie zwei Rechtsanwälte einer Großkanzlei angeklagt sind, welche die Banker im Zusammenhang mit Cum-Ex-Deals beraten haben sollen. Weitere Verfahren in Bonn (Warburg ,Sarasin, Freshfields), Frankfurt (MapleBank) und Wiesbaden (HVB) laufen aktuell.


"Auf der Hand liegt: Eine ‚Erstattung‘, von was auch immer, ist der Rückfluss einer zuvor hingeflossenen Leistung. Wenn eine Geldsumme einmal gezahlt, aber zweimal erstattet wird, kann etwas nicht stimmen"

sagt Thomas Fischer in der Börsenzeitung. Ermittlungen im Wirtschaftsstrafrecht haben Hochkonjunktur. Erst recht in Cum-Ex-Fällen. Wenn die Staatsanwaltschaft erst einmal eine kriminelle Bande im Verdacht hat, muss deren System aufgedeckt werden, um weitere Beschuldigte ("Bandenmitglieder") zu finden. Riesige Datenmengen müssen ausgewertet werden. Unternehmen geben diese meist "freiwillig" an die Staatsanwaltschaft heraus. "Freiwillig" deshalb, weil sie hohe Strafzahlungen befürchten, wenn sie nicht kooperieren. Strafverteidiger des Unternehmens sorgen für eine"geräuschlose Erledigung". Nur kein Aufsehen. Möglichst keine Presse, wenn die Polizei im Haus ist. Da werden "Magnetbänder" und Datenträger auf dem Silbertablett überreicht.


Dürfen es auch ein paar mehr Daten sein, Herr Staatsanwalt?

Die Staatsanwaltschaft bedankt sich, nimmt die Datenträger entgegen und beauftragt erst einmal externe IT-Firmen. Staatsanwälte halten diese für „Sachverständige" im Sinne der Strafprozessordnung. Sie sollen den Datenbestand des Unternehmens (Bank, Kanzlei etc.) für die Ermittler aufbereiten und durchsuchen. Aus den "Ermittlungsergebnissen" will die Staatsanwaltschaft dann ihre eigenen Rückschlüsse ziehen. Doch ist das zulässig? Darf Ermittlungsarbeit auf private Firmen ausgelagert werden?


Dürfen Ermittlungen auf private Firmen ausgelagert werden? Dürfen selbst ernannte "IT-Forensiker" Terabyte um Terabyte durchsuchen?

Sichtung, Auswertung und Analyse der Daten sind originäre Ermittlungsarbeit. Diese muss der Staat selber leisten. Ermittlungen können nicht einfach auf private Dritte ausgelagert werden. Strafverteidiger fragen: Wer sucht diese Firmen aus? Wer überwacht sie? Wer profitiert davon? Private Unternehmen verdienen an den Aufträgen der Staatsanwälte prächtig. Der Staat zahlt schnell und zuverlässig.


Doch wie abhängig sind diese Unternehmen von den Aufträgen der Staatsanwälte? Und genau da wird es kritisch: Ein Oberstaatsanwalt in Frankfurt am Main ist im vergangenen Jahr festgenommen worden, weil ihm Korruption und Bestechlichkeit im Zusammenhang mit der Vergabe von Gutachten an Externe vorgeworfen wird. Er soll KickBacks erhalten und sich deshalb auf die Ermittlung eines möglichst hohen Schadens konzentriert haben. Aufträge zur Auswertung von Ermittlungsakten hat er immer an ein bestimmtes Unternehmen gegeben. Zwischenzeitlich soll er gestanden haben.


Dieser Fall des mutmaßlich korrupten Oberstaatsanwalts zeigt den Fehler im System der Ermittler, die sich gerne als "Jäger" bezeichnen. Es geht um die Macht der Gutachter. Und um die ihrer Auftraggeber. Ob die Auslagerung von Ermittlungsarbeit und die damit verbundenen Probleme vor Gericht zu einem Beweisverwertungsverbot führen wird, ist noch ungeklärt. Was aber in der freien Wirtschaft kein Problem ist, stellt sich im strafprozessualen Ermittlungsverfahren anders dar. Denn Ermittlungsarbeit ist Hoheitsaufgabe. Die Strafrechtspflege ist verfassungsrechtlich im Monopol des Staates. Natürlich darf der Staat auch „Sachverständige“ beauftragen. Aber dieser Fall ist strafprozessual genau geregelt. Und "echte" Sachverständige dürfen auch nicht selbst erst den Sachverhalt ermitteln, den sie dann bewerten sollen. Sie müssen neutral bleiben und dürfen nur vorgegebene Fragestellungen aufgrund eines vorgegebenen Sachverhalts (den so genannten „Anknüfungstatsachen“) beantworten. Als „faktisch Beliehene“ arbeiten diese IT-Dienstleister zwar im Auftrag der Staatsanwaltschaft. Ihre Einschaltung ist mangels gesetzlicher Grundlage aber rechtswidrig.


Gibt es Parallelen zu den "Encrochat"-Verfahren?

Womöglich könnten sich Parallelen zu Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit den Kryptohandy "Encrochat" zeigen. Dort haben sich die Behörden unter Verstoß gegen Grundregeln der Strafprozessordnung ohne konkreten Tatverdacht Erkenntnisse über Straftaten der Organisierten Kriminalität im Ausland verschafft, die erst dann zu Ermittlungsverfahren gegen zahllose Beschuldigte in Deutschland geführt haben. Der Clou daran: Vor dem Abgreifen und der Auswertung ihrer Daten lag nicht einmal ein Anfangsverdacht vor, welcher die Auswertung von Daten strafprozessual erst legitimieren hätte können. Erste Gerichte haben zwischenzeitlich die Verwertung der Beweise aus dem "Encrochat"- Komplex untersagt. Allerdings mit sehr fragwürdiger Begründung: "Die Nichtverwertung von legal durch Behörden der Republik Frankreich — nicht nur eines Gründungsmitgliedes der europäischen Union, sondern auch eines der Mutterländer des modernen Menschenrechtsverständnisses — beschaffter Informationen über derart schwerwiegende Straftaten, verstieße auch in erheblicher Weise gegen das allgemeine Gerechtigkeitsempfinden der rechtstreuen Bevölkerung." Strafverteidiger werden weiter der Beweisverwertung widersprechen, um eine höchstrichterliche Entscheidung oder und ggfs. eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes herbeizuführen, die bislang noch nicht vorliegt. Wahrheit um jeden Preis darf es in einem Rechtsstaat nicht geben.


Wahrheit um jeden Preis darf es in einem Rechtsstaat nicht geben.

Ob dies auch im Cum-Ex-Verfahrenskomplex so gelaufen ist, wird sich zeigen. Während es bei "Enchrochat" aber um ein WhatsApp für Kriminelle ging, die im Darknet Waffen, Drogen und sogar Auftragsmorde verkauft haben sollen, werden Cum-Ex - Fälle zum so genannten White-Collar-Crime gezählt. Hier braucht es kein Darknet. Die "Täter" haben aus Sicht der Ermittler weiße Kragen und sitzen in hell erleuchteten Hochhäusern in Bankenvierteln. Es geht es um Banker und Börsianer, die 20 Stunden am Tag arbeiten und mit Aktienhandel am Computerbildschirm Geld vermehren.


Aber Steueroptimierung ist nicht per se verboten, sondern erst dann, wenn sie im "Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten" nach § 42 AO mündet. Die Finanzbehörden wusste jedenfalls seit Jahren davon, dass es Cum-Ex-Geschäfte mit Leerverkäufen gibt.


Wer machte sich im Jahre 2010 darüber Gedanken? Da ist niemand einfach so ausgestiegen, weil er das nicht mehr mittragen wollte. Das haben alle gemacht. Diese Geschäfte haben alle gemacht. Sie waren aus Sicht der Beteiligten legal, vielleicht, weil sie niemand angezweifelt oder überhaupt verstanden hat und wenn man einer oben nachfragte, verwies man auf Gutachten renommierter Steuerexperten zur Legalität. Und nicht wenige Politiker, die damals in den Aufsichtsräten der Banken saßen, wettern heute genau gegen diese Geschäfte, die sie einst überwachen sollten. Ermittler müssen beweisen, dass der einzelne Beschuldigte Kenntnis von der Illegalität des "Systems" hatte und mindestens bedingt vorsätzlich daran mitwirkte.


"Die „Mafia“ muss in der Logik der „Jäger“ immer schon vorausgesetzt werden, um die Taten identifizieren zu können, deren Begehung ihre Existenz angeblich erst beweist"

Aus Sicht des Strafverteidigers ist das ein klassisches Problem: "Die „Mafia“ muss in der Logik der „Jäger“ immer schon vorausgesetzt werden, um die Taten identifizieren zu können, deren Begehung ihre Existenz angeblich erst beweist" (Thomas Fischer in der Börsenzeitung vom 11.06.2021).


Kognitionspsychologisch betrachtet handelt es sich um so genante "Rückschaufehler". Vorher vorhandene Informationen werden unter dem Einfluss des Ereignisses neu betrachtet und führen dabei zu einer Überschätzung der Vorhersagbarkeit des Ereignisses.


Wenn sich also eine Oberstaatsanwältin ("Mafia-Jägerin") "erleichtert" darüber zeigt, dass das Landgericht Bonn im Jahr 2020 "endlich" bestätigt habe, dass das Cum-Ex-System im Jahr 2010 "kriminell" und "illegal" war, so sind da aus Sicht des Strafverteidigers erhebliche Zweifel angebracht. Vor allem, wenn es um ein "kriminelles System" geht, um "gewerbsmäßigen Bandenbetrug" einer kriminellen Geheimorganisation, die darauf aus ist, unbescholtenen Bürgern (manche davon werden liebevoll "Steuersünder" genannt) und dem Staat das Steuergeld raubt.


Über 1100 Menschen, von Beruf Banker (insbesondere Börsenhändler, Geschäftsführung und Vorstand von Banken und Finanzinstituten, Mitarbeiter in Rechtsabteilungen und Compliance-Officer) und deren Berater (Steuerberater, Rechtsanwälte) stehen heute im Kreuzfeuer der Ermittler. Was dabei oft übersehen wird: Hinter jedem einzelnen Fall steht ein Mensch. Allein die Existenz eines Ermittlungsverfahrens ist sehr belastend für jeden Beschuldigten, ganz egal, was ihm vorgeworfen wird. Es schwebt jahrelang wie ein Damoklesschwert über dem Kopf des Betroffenen. Dass dieser fortan als Banker oder Anwalt in seiner weiteren Karriereplanung eingeschränkt ist, ist noch das geringste Übel. Vor allem die persönliche Lebensplanung ist stark beeinträchtigt. Schließlich geht es bei Cum-Ex um Verbrechensvorwürfe und damit konkret drohende Haftstrafen.


Bei Vorwürfen wegen gewerbsmäßigem Bandenbetrug geht es um hohe Haftstrafen

Das OLG Frank­furt am Main (Beschluss vom 09.03.2021 - 2 Ws 132/20) hat Tat­vor­wür­fe gegen einen angeblichen Draht­zie­her so­ge­nann­ter "Cum-/Ex"-Ge­schäf­te nicht nur als Steuerhinterziehung , son­dern zusätzlich als ge­werbs­mä­ßi­gen Ban­den­be­trug ge­wer­tet. Strafverteidiger schütteln nur den Kopf über diese mehr als gewagte rechtliche Einordnung der Sachverhalte.


Mit Urteil vom 28.07.2021 (1 StR 519/20) hat der Bundesgerichtshof nun ein Urteil des Landgerichts Bonn vom 18.03.2021 (– 62 KLs – 213 Js 41/19 – 1/19) bestätigt. Ob damit aber wirklich erheblicher Schwung in weitere 100 laufende Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft, die gegen rund 1000 Beschuldigte um und aus dem Finanzsektor in ganz Deutschland geführt werden, kommt, bleibt abzuwarten.


Denn: Die Entscheidungsgründe sind bis heute nicht veröffentlicht. Diese müssen erst ausgewertet werden. Prognosen müssen angestellt und Bezüge zum jeweilige Fall hergestellt oder ausgeschlossen werden. Es gibt aus meiner Sicht kein "Grundsatzurteil", das "Anklagewellen" rechtfertigt. Jeder Fall muss individuell betracht werden. Jeder Fall ist anders. Und in jedem Fall muss der Vorsatz des Mandanten geprüft werden. Was wusste der Betroffene wirklich? Hat er den Schaden wirklich "billigend in Kauf genommen"? Hat er die Geschäfte, die er getätigt haben soll, überhaupt bis zur letzten Konsequenz verstanden? Hat er überhaupt nachgefragt und gab es Anlass dazu?


Neues Gerichtsgebäude für Cum-Ex-Verfahren

Dem Urteil des BGH liegen zudem Geständnisse der dortigen angeklagten Börsenhändler zugrunde. Die Angeklagten haben umfassende "Aufklärungshilfe" geleistet und damit den Grundpfeiler gesetzt für weitere Ermittlungen gegen andere Beschuldigte. Der Rechtsstaat will anderen zeigen: "Schaut her, wer auspackt, wird belohnt". Der BGH musste sich daher nicht mit Fragen des Vorsatzes beschäftigen. Das wird erst noch kommen, wenn zB. ein Mandant schweigend verteidigt wird. Dann muss das Gericht den Vorsatz feststellen. Ob man also anderen 1000 Beschuldigten wird vorwerfen können, dass sich jeder Aktenhändler und jeder Mitarbeiter einer Rechtsabteilung oder irgendeiner Unter-Unterabteilung einer Bank damals hätte sagen müssen: "Da mache ich nicht mit, weil das kriminell ist" - darum wird es erst noch gehen. Insoweit ist die "Grundsatzwirkung" des Urteils des BGH voraussichtlich sehr begrenzt.


Je mehr sich aber die Staatsanwaltschaften aber in den Sachverhalt einarbeiten, Strukturen entdecken zu glauben und Zusammenhänge herstellen, desto enger wird es aus Sicht der Ermittler für Beschuldigte. Das Landgericht Bonn lässt bereits ein neues Gerichtsgebäude errichten. Nur für Bewältigung der "Anklagewelle" in anstehenden 1000 weiteren Cum-Ex-Verfahren.


Die "Steuer-Mafia-Jägerin" OSTA'in Brohilker (Staatsanwaltschaft Köln) schildert dies nicht ohne eine gewisse Dramatik in einer im Juni 2021 im Ersten gesendeten Reportage mit dem Titel "Der Milliardenraub - Eine Staatsanwältin jagt die Steuermafia". Thomas Fischer - einst BGH-Richter und heute Strafverteidiger - spricht von einem quasireligösen Moralfeldzug in der Börsenzeitung vom 11.06.2021 zu der ARD-Dokumentation:


"Die Erfahrung zeigt, dass es gefährlich ist, wenn Moralschlachten mit Mitteln des Strafrechts und dem Anspruch auf Unfehlbarkeit geführt werden."

An der Auslieferung des in die Schweiz geflüchteten Steueranwalts Hanno Berger bestehen nach den jüngsten Pressmeldungen kaum noch Zweifel. Und wie wird sich dieser verteidigen? Wird er schweigen oder unter dem Druck der Auslieferungshaft in der dann folgenden Untersuchungshaft "reinen Tisch" machen, um sein Strafmaß zu senken? Wird er, der Mr.Cum-Ex genannt wird, als Architekt des Steuerdeals dann zum "Kronzeugen"? Oder wird er sich mit den damals erstellten Gutachten verteidigen, die auch der BaFin und der Politik vorlagen? Denkbar ist dies alles. Denn was sich momentan zivilrechtlich so unter Banken tut, ist nichts anderes als ein Hauen und Stechen. Die Bankenbranche ist ziemlich beunruhigt.


"Investoren gehen gegen Banken vor, Banken gegen Berater und Banken verklagen sich gegenseitig" (Handelsblatt, 11.08.2021).

Doch immer wieder gab es warnende Stimmen innerhalb der Branche, die Zweifel an der Legalität der Geschäfte geäußert haben und sich Rückversicherung von "ganz oben" geholt haben. Solche E-Mails sind Wasser auf die Mühlen der Ermittler, weil sie Strukturen innerhalb von Unternehmen aufdecken. Und zeigen, wer was gewusst haben könnte. Solche Mails suchen wiederum die "IT-Forensiker" wie die Nadel im Heuhaufen. Und sie finden auf diese Weise womöglich neue Beweismittel. Und ganz nebenbei bieten sich immer neue Kronzeugen an.


Kronzeugen: Die Beweislage kann sich für Beschuldigte in anderen Verfahren jederzeit ändern: Heute noch diffus, morgen schon erdrückend.

Die Staatsanwaltschaft gewinnt erhebliche Erkenntnisse über so genannte "Kronzeugen". Den Aufklärungsarbeit wird vom Gesetz belohnt. Dies hat sich auch in den Verfahren gegen zwei Börsenhändler am Landgericht Bonn zu deren Gunsten ausgewirkt. Die Verteidigungstrategie der dortigen Kollegen war richtig und ging auf. Aber das gilt nicht in jedem Fall. Aufklärungshilfe ist mit vielen Unwägbarkeiten und Unsicherheiten behaftet. Und das erfordert viel Erfahrung und Gespür für die Psychologie des Strafverfahren. Denn der Strafverteidiger muss wie im Schach mehrere Züge voraus planen. Er muss in der Lage sein, sich in seinen Gegenpart hineinzuversetzen. Und das zu einem Zeitpunkt, in welchem eben noch keine Beweise auf dem Tisch liegen und man unter anderen Umständen seinem Mandanten zum Abwarten raten würde. Der Verteidiger muss sich bewusst sein: Es gibt nach einer Aussage kein zurück mehr. Und Zusagen (zB. eine Strafe im bewährungsfähigen Bereich) sind im Cum-Ex-Verfahren kaum zu erwarten.


Was dem einen hilft, schadet anderen. Letztlich decken diese Kronzeugen dann Zusammenhänge auf, die weitere Erkenntnisse in anderen Verfahren zutage fördern und damit eine ungeahnte Dynamik in eine Vielzahl von Ermittlungsverfahren bringen können. Es bleibt spannend. Wer als Anwalt in Verfahren verteidigt, in dem die Staatsanwaltschaft einen "Milliardenraub" unterstellt, muss auf der Hut sein. Und hat alle Hände voll zu tun.



Der Verfasser dieses Beitrags ist Strafverteidiger und Fachanwalt für Strafrecht in Karlsruhe und verteidigt in Steuer- und Wirtschaftsstrafverfahren, auch im Cum-Ex-Komplex.
















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