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Reden oder Schweigen? Zur Verteidigungsstrategie

"Bei einem Honorar von 50000 stehen 5000 für die Vorbereitung und Durchführung der Hauptverhandlung,

die restlichen 45000 aber für den sachkundigen Rat des Anwalts, ob der Mandant sich einlassen soll oder nicht."

(Alan Dershowitz, Harvard-Professor und Strafverteidiger)

Der Beschuldigte darf schweigen. Aus seinem (vollständigen) Schweigen dürfen strafprozessual keine Schlüsse gezogen werden. Die Europäische Menschenrechtskonvention und die Verfassung garantieren das Schweigerecht des Beschuldigten.  

 

Die Entscheidung, ob ein Angeklagter in der Hauptverhandlung schweigen soll, ist aber einer der schwierigsten und komplexesten Entscheidungen, die ein Verteidiger zu treffen hat. Sie setzt eine komplexe Einschätzung der gesamten Beweis - und Verfahrenslage voraus.

 

Schweigen kann für den Mandanten psychisch belastend sein. Auch wenn es rechtlich zulässig ist. Die Anklage präsentiert eine scheinbar schlüssige Geschichte vom Tathergang. Dieses Bild ist in den Köpfen der Richter. Wie kann man das Bild in den Köpfen widerlegen, wenn man keinen alternativen Sachverhalt präsentiert?

 

An dieser Stelle kommt ein weiterer verfassungsrechtlicher Grundsatz zum Tragen: Nicht der Angeklagte, sondern das Gericht muss den Nachweis der Schuld erbringen. Und es darf alle Elemente seiner Überzeugungsbildung nur mithilfe der strafprozessual zulässigen Beweismittel zusammentragen. Je weniger Fakten zur Verfügung stehen, desto schwieriger hat es der Richter, seine Überzeugung von der Schuld des Angeklagten zu bilden.

 

Der Druck der konfrontativen Befragung durch Gericht und Staatsanwalt ist für viele Mandanten nur schwer auszuhalten. Auch wenn sie sonst das Reden gewohnt sind. Die Kommunikationssituation vor Gericht ist geprägt von der Autorität des Richters, der zuvor die Verfahrensakten und die Anklage gelesen hat und der dadurch eine gewisse vorgefertigte Meinung hat, wie sich die vorgeworfene Tat abgespielt haben muss. 

 

Psychologisch ist erwiesen, dass Menschen von dem einmal gelesenen in ihrem Verhalten beeinflussen lassen und nach Bestätigung suchen. Ist die Erklärung des Angeklagten (die so genannte "Einlassung") aus Sicht des Gerichts unlogisch oder widersprüchlich, macht sich der Angeklagte zum Beweismittel gegen sich selbst.

Die Verhältnisse können sich dann in der Beweisaufnahme umkehren. Das Gericht kann sich genötigt sehen, die Angaben des Angeklagten widerlegen zu wollen. Der Schuldnachweis, den das Gericht erbringen muss, rückt dadurch in den Hintergrund.

 

In anderen Konstellation ist dies ganz anders.  Wenn - wie zB. bei Vorwürfen wegen Sexualdelikten -  Aussage gegen Aussage steht, kann der Angeklagte mit einer gut vorbereiteten Einlassung eine hohe Hürde für den Richter aufbauen, seine Überzeugung von der Schuld des Angeklagten allein auf der Opferaussage aufzubauen.

Entscheidet sich der Verteidiger zum Schweigen, muss er gleichzeitig ein schlüssige Strategie erarbeiten, das auch die mangelnde Kommunikation durch anderweitige prozessuale Aktivitäten ersetzt. 

 

Zur Entwicklung einer effektiven Verteidigungsstrategie zitiere ich den Strafverteidiger Johann Schwenn (DIE ZEIT vom 09.04.2015, Nr. 15. S. 35)  Er beschreibt, warum ein Strafverteidiger das Recht hat, auch für Täter, von deren Schuld er weiß, den Freispruch zu erwirken.

"Im deutschen Strafprozess gilt die Freiheit der Beweiswürdigung. Der Richter darf - ohne die Aufhebung seines Urteils durch das Revisionsgericht fürchten zu müssen - glauben, was er will, solange es vertretbar ist, solange es auf einer von ihm in seinem Urteil nachvollziehbar dargestellten Tatsachengrundlage beruht, und so lange der Richter nicht selber an den festgestellten Tatsachen zweifelt - selbst wenn die Unschuld des Angeklagten wahrscheinlicher erscheint als seine Schuld.

 

Einem solchen Verfahren sollte sich niemand ohne einen Rechtsbeistand aussetzen. Seiner Aufgabe kann der Verteidiger aber nur gerecht werden, wenn er den wahren Sachverhalt kennt. Wer sich den guten Glauben an die Unschuld aller seiner Mandanten bewahren will, gleicht dem Arzt, der kein Blut sehen kann, und sollte sich vom Verteidigen besser fernhalten: Ohne genaueste Kenntnis aller relevanten Tatsachen kann kein Verteidiger dem Beschuldigten raten, ob er gestehen, bestreiten oder schweigen sollte. Selbst für einen Unschuldigen kann das Schweigen nämlich manchmal der sicherste Weg zum Freispruch sein.

 

Kennt der Verteidiger aber den wahren Sachverhalt nicht, so wird er auch mit vermeintlich schlauen Fragen an Belastungszeugen und Sachverständige mehr Schaden als Nutzen stiften.

 

Wenn aber der Beschuldigte dem Verteidiger nichts anvertrauen kann, ohne absolut sicher zu sein, dass der das Gehörte für sich behält und nach dem Gesetz unter allen Umständen behalten darf, so wird er sich ihm auch nicht offenbaren. Damit seine Offenheit im Innenverhältnis nicht zur Falle für den Mandanten wird, bleibt der Verteidiger berechtigt, auch für den schuldigen Mandanten für den Freispruch zu kämpfen. Er darf dies nur nicht mit der Lüge tun, er selbst sei von der Unschuld seines Mandanten überzeugt. Auf diese Beteuerung zu verzichten sollte ihm umso leichter fallen, als es darauf gar nicht ankommt. Denn verurteilt werden darf ein Angeklagter ohnehin nur, wenn die den Schuldspruch tragenden Tatsachen auf einem dem Gesetz entsprechenden Wege Gegenstand der Hauptverhandlung geworden sind."

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"Strategisch herausragend"

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